Divinity: Original Sin II war eines der längsten Stream-Projekte auf meinem Kanal und ich habe es im Koop-Modus mit Valerio gespielt. In diesem Review möchte ich unsere beiden Sichten gleichermaßen verarbeiten und zusammenfassen. Auch hier ist wieder einiges an Zeit vergangen, um etwas Distanz zum Spiel und damit an Neutralität zu gewinnen.
Allgemeine Informationen
- USK: 16
- Systeme:
- PC - Release: 14. September 2017
- PS4, Xbox - Release: 31. August 2018
- Mac - Release: 31. Januar 2019
- Switch - Release: 4. September 2019
- iPadOS - Release: 18. Mai 2021
- Genre: cRPG (Computer-Rollenspiel)
- Entwickler: Larian Studios
Genaueres zum Genre
Als cRPGs werden unter Genre-Kennern Spiele bezeichnet, welche auf ein umfangreicheres Regelwerk aufbauen. Das muss nicht zwangsläufig DSA oder D&D sein, aber ein System in der Art ist oft ein Alleinstellungsmerkmal der Genre-Vertreter. Damit kommt auch ein höherer Anspruch an den Spielenden und die Mechaniken lassen mehr Tiefgang zu. Zudem haben solche Spiele meist einen hohen Wiederspielwert, weil das Gameplay (bspw. durch das Klassensystem) mehr Komplexität zulässt. Es sind also Spiele, welche weit von den modernen RPGs wie Skyrim oder Witcher entfernt sind. Daher ist ein Vergleich mit solchen Titeln auch nicht sinnvoll.
Genre-Vertreter wären aber sowas wie:
- Baldur's Gate 1+2
- Icewind Dale
- Planescape Torment
- Tyranny
- Age of Decadence
- Shadowrun Reihe
- Vampire: The Masquerade
- UnderRail
- Wasteland Reihe
Bis auf Vampire: The Masquerade teilen sich alle Spiele ein ähnliches "Look & Feel". Die Genre-typische isometrische Sicht, ein tiefgreifendes Kampf-/Klassensystem und/oder ein ausgeklügeltes Storytelling mit interessanten Entscheidungen.
Spielgeschehen
Das Spielgeschehen ist weitestgehend Genre-Standard. Es gibt Haupt- und Nebenquests, eine umfangreiche Charaktererstellung, Dialogführung mit Skillchecks, usw.
Aber Divinity: Original Sin II bringt in jedem Aspekt eine Eigenheit rein, die das Spiel hervorstechen lässt. Besonders die Integration eines Koop-Modus ist sehr sonderbar für solcherlei Spiele.
Besonderheit: Koop-Modus
Hier sind Valerio und ich uns einig. Der Koop-Modus ist sehr gut umgesetzt und intuitiv bedienbar. Es werden dem Spielenden alle Werkzeuge gegeben um sich bspw. gegenseitig Items zu geben, bei Dialogen zuzuhören und die Charaktere den jeweiligen Spielenden zuzuordnen.
Valerio hat es sehr schön mit folgenden Worten zusammengefasst: "Ein fehlender Salut an das schon im Vorgänger implementierte Pyramidensystem wäre vermessen. Gleiche Funktionalität wie bekannt, doch von 2 auf 4 aufgestockt. Jedes Partymitglied ist somit bedient. Gerade im Koop immer wieder praktisch, um die Gruppe fix zu sammeln oder die Party ohne lästige Fummelei durch Teleportationspassagen zu lotsen."
Das Pyramidensystem funktioniert so, dass die Spielende Pyramiden finden, welche sich farblich unterscheiden. Mit einer Pyramide ist es möglich zu einer anderen Pyramide zu reisen. Ist eine andere Pyramide im Inventar eines anderen Spielenden, ist es so möglich, direkt zu einem anderen Spielenden zu reisen. Es ist aber auch möglich, die Pyramide auf den Boden zu legen. Dann ist die Stelle am Boden das Teleportationsziel.
Besonders der erste Teil hat mithilfe des Pyramidensystems einige Rätsel gestaltet, die das Spiel oftmals aufgelockert haben.
Besonderheit: Charakterquests
Divinity: Original Sin II schafft es, mit jeder kleinen Quest eine schöne Geschichte zu erzählen und belohnt den Spielenden dabei auch größtenteils mit attraktiven Gegenständen. Die Nebenquests fühlen sich oft wie Hauptquests an, weil sie so schön erzählt sind und wunderbar in die Welt passen. Die Hauptquests führen dann die Story fort und bringen alles in Fahrt. Um die Nebenquests und das Erkunden noch schmackhafter zu machen, gibt es Charakterquests. Jeder der Standard-Begleiter (man kann aber auch selbst einen spielen) hat eine eigene Geschichte und als Spielender kann man diese Agenda verfolgen. Das ist schön gemacht, weil die einzelnen Geschichten nochmal hervorstechen und man eben auch mal eine Quest für einen Begleiter absolviert.
Sowas lockert den Spielverlauf oft auf und lässt man sich darauf ein, kann man mit seinen NPC-Begleitern eine spannende Geschichte erleben.
Besonderheit: Kampfsystem
Das Kampfsystem ist in vielerlei Hinsicht interessant. Es beginnt bereits bei der Charaktererstellung. Denn dort sieht man bereits die Offenheit des Skillsystems. Es ist zwar möglich, bekannte Archetypen zu wählen, aber es macht viel mehr Spaß, sich seinen eigenen Charakter nach seinen eigenen Wünschen zu basteln. Alles kann mit allem kombiniert werden und dabei sind über die Jahre einige lustige Builds entstanden. Nekromantie + Kriegsführung? Kein Thema. Gauner + Polymorph? Fetzt voll. Der Fantasie werden hier nur wenige Grenzen gesetzt.
Leider muss ich hier einen Punkt abziehen, denn das Rüstungs-System schränkt meiner Meinung nach die Gruppenzusammenstellung zu stark ein. Es gibt nämlich physische und magische Rüstung, die Fähigkeiten machen entsprechend physischen oder magischen Schaden. Ist die jeweilige Rüstungsart auf 0 gebracht worden, geht der Schaden direkt auf die Lebensleiste. Hat man also zwei Leute in der Gruppe, die physischen Schaden machen und die übrigen zwei machen magischen Schaden, kann man sich kaum auf einen Gegner konzentrieren und muss eben immer beide Rüstungsarten möglichst schnell auf 0 bringen. Konzentriert man sich als Gruppe allerdings auf nur eine Schadensart, muss nur eine Rüstungsart zerstört werden und dann geht es auch schon an die Lebenspunkte. In den allermeisten Kämpfen hat sich das als gut erwiesen, es gab aber fairerweise auch Kämpfe, bei denen ein ausgeglicheneres Team durchaus von Vorteil wäre (hust Eiswölfe).
Besonders positiv ist jedoch die Tatsache, dass es durch das Skillsystem oftmals nicht sofort klar ersichtlich ist, wer bspw. der Heiler in der Gruppe ist. Somit ergibt sich eine interessante Dynamik und das klassische Vorgehen "Heiler muss zuerst besiegt werden", wird aufgelockert.
Generell ist der Kampf rundenbasiert und das ganze Spiel lebt von diesem Kampfsystem. Hat man damit keinen Spaß, wird man mit dem Spiel auch kein Spaß haben, denke ich. Hier ist viel Herzblut reingeflossen. Die Umgebung lässt sich oftmals nutzen und auch mit Save-Scumming (Speicherstand laden, um mit Vorwissen in den Kampf zu gehen) bleibt das Spiel herausfordernd.
Valerios Worte zu diesem Thema: "Für mich einer der größten Stärken des Spiels. Traditionell Rundenbasiert, aber nicht träge. Einfach genug um nicht frustrierend zu sein und auf anderer Hand so komplex sich horizontal kreativ weit ausleben zu können. Die Entscheidung aktive Skills nicht durch einen Fähigkeitsbaum vertikal freischalten zu müssen, sondern über Bücher sich individuell aneignen zu können, solange die Attribute stimmen, wurde hier verfeinert. Im Nachfolger können wir Fähigkeitsbücher miteinander kombinieren und ausbrechen von Wegen, was einfach einladend ist und gut umgesetzt wurde in einem passenden Umfang von Möglichkeiten. Der Mut zum Tüfteln und Ausprobieren wurde daher auch schon sinnigerweise in die Charaktererstellung eingebunden, ohne überfordernd zu sein. Wer sich von bibliothekarischen Ausmaßen a la Pillars of Eternity oder Pathfinder abgeschreckt fühlt darf an dieser Stelle gemeinsam mit mir ausatmen. Klassische Pre-Sets wie Mage, Paladin, Ranger werden zwar angeboten, aber es wird genauso die Möglichkeit gegeben einfach und verständlich seine eigenen Klassenmodifikationen mit einzuarbeiten oder das komplette Pre-Set anzupassen um die Startausrüstung beizubehalten. Ein kleines Audio log pro Rasse erspart dem Neueinsteiger den Blick ins Wiki. Gerade in diesem Feld gibt es in Divinity: Original Sin II erfrischend viele Weichen innerhalb eines Genres, welches leider noch auf ziemlich starren Schienen fährt. Ein oft eingesessener, dicker Schleier zwischen falsch und richtig wird so spaßig verdünnt. Der ab Akt II verfügbare Re-Skill Mirror auf der Rachefürstin unterstreicht diese Einladung."
Besonderheit: Charakterentwicklung
Die Charakterentwicklung findet auf mehreren Ebenen statt. Natürlich ist eine davon ein klassisches Level Up System. Mit jedem Level Up können Punkte in verschiedene Bereiche investiert werden. Attribute wie Stärke oder Intelligenz, Fähigkeiten wie Kriegskunst, Gauner oder Hydrosoph, Talente, welche sehr ähnlich sind wie "Feats" in D&D (passive Boni oder spezielle Re-/Aktionen) und Zivilfähigkeiten wie Überreden oder Führung. Dadurch kann sich der Charakter auf der Werte-Ebene in viele verschiedene Richtungen entwickeln.
Dazu kommt auch noch die Möglichkeit, seinen Charakter mit den unterschiedlichsten Ausrüstungsgegenständen auszustatten. Diese können auch nochmal die Werte beeinflussen und geben teilweise sogar spezielle Effekte. Besonders die Sets sind hier positiv hervorzuheben.
Abseits der Werte-Ebene gibt es noch die narrative Ebene. Auch hier entwickelt sich der eigene Charakter stets weiter. Zu Beginn ist man noch ein Gefangener auf der Freudenfeste und trägt ein Halsband, welches sogar auch die Möglichkeit nimmt, einen Helm auszurüsten. Im Verlauf des Spiels entwickelt man sich stehts weiter und lernt allerlei Leute kennen und macht sich einen Namen. Das passiert primär im Untergrund, denn mit den Magistern will niemand etwas zu tun haben.
Besonderheit: Set-Gegenstände
Sets sind keine Genre-Neuheit, obgleich sie bisher primär in Action-RPGs Verwendung finden. In Divinity: Original Sin II sind Sets jedoch besonders erfrischend umgesetzt. Denn diese gibt es nicht an jeder Ecke und die Zusammenstellung eines ganzen Sets kann sich schon mal die komplette Spiellänge ziehen (Verschlinger-Set...). Für jedes Set gibt es eine oder mehrere verbundene Quests, die sich alle sehr stark voneinander unterscheiden. So muss man bspw. für ein Teil des Kapitäns Sets ein paar bestimmte Dinge erledigen um dann in seinem Schiff (oder das, was davon noch übrig ist) in einer Vitrine den Gegenstand rausnehmen zu können. Diese Rätsel sind keineswegs unmöglich zu lösen, aber der Spielende muss sich eben mal mit den Item-Texten auseinandersetzen. Und obwohl das Set vergleichsweise leicht zu bekommen ist, ist der Bonus nicht zu verachten. Denn alle, die in die Reichweite des Set-Trägers kommen, können verzaubert werden, was bewirkt, dass der Gegner für eine Runde zum Freund wird und ebenfalls unsere Gegner angreift. Das ist super stark, wenn man gegen Gegner spielt, die keine magische Rüstung haben.
Insgesamt war ich sehr beeindruckt, besonders das Verschlinger-Set hat es mir angetan durch die komplette Verschlinger Thematik und dann die Auflösung am Ende... einfach cool. Valerio und ich haben aber noch weitere Sets (teilweise) gesammelt. Valerio hatte bspw. für seinen Ranger das Vulture-Set, was auch mit einer schönen Quest verknüpft war.
Das ist auf jeden Fall ein Aspekt, der mich stark beeindruckt hat. Sowas wünsche ich mir definitiv von mehr Spielen!
Besonderheit: Spielleiter-Modus
Erwähnenswert ist auf jeden Fall auch der Spielleiter-Modus. Darüber ist es möglich, eigene Kampagnen im Rahmen des Divinity: Original Sin II Systems zu gestalten. Dabei gibt es allerlei Tools für Spielleiter um Einfluss auf die Welt zu nehmen. Es ist möglich, den Spielenden Items zu geben, ganze Kämpfe zu gestalten etc.
Leider haben weder Valerio noch ich tiefgreifende Ahnung von diesem Modus. Ich denke aber, dass es, der Vollständigkeit halber, erwähnt werden sollte. Schließlich ist sowas relativ unüblich unter den Genre-Vertretern.
Besonderheit: Mod-Support
Auch der Mod-Support ist eine große Besonderheit innerhalb des Genres. Divinity: Original Sin II wartet mit einer Steam Workshop Integration auf und dort sind allerlei interessante Mods zu finden. Von Balance-Anpassungen über eine größere Gruppengröße bis hin zu vollständig neuen Klassen. Hier hat die Community über die bisher vergangenen Jahre einiges an Herzblut und Hirnschmalz reingesteckt, was schlussendlich die Wiederspielbarkeit drastisch erhöht.
Leider sind vollständige Kampagnen mit eigener Story etc. darüber nicht möglich. Das hätte eine schöne Alternative zum Neverwinter Nights Toolkit darstellen können. Hoffentlich legt Larian Studios für Baldur's Gate 3 nochmal eine Schippe oben drauf.
Besonderheit und Kritik: PvP-Arena Modus
Zu guter Letzt gibt es noch einen Arena Modus abseits von den Arenen im Rahmen der Story. Der Arena Modus ist leider sehr eingeschränkt, denn man kann sich nur vorgefertigte Charaktere aussuchen und mit denen in einigen Arenen kämpfen. Das geht sowohl allein gegen eine KI als auch gegen menschliche Spielende. Die Grundidee ist zwar super, aber ich hätte mir gewünscht, dass es möglich wäre, die Charaktere in irgendeiner Form anzupassen, um einfach ein Gefühl für die unterschiedlichen Skills zu bekommen. Bevor man sich im Rahmen der Story an etwas orientiert, was einem vielleicht doch nicht so wirklich gefällt. Klar, man kann kostenlos umskillen und dadurch sehr viel herumexperimentieren, aber die Ausrüstung für die neue Skillung zu finden wird dann eine Herausforderung.
Der Arena-Modus hätte aus meiner Sicht ein schöner Modus sein können, um anspruchsvolle Kämpfe gegen gut geskillte Charaktere zu üben. Darüber hätte man gleich die Stärken und Schwächen der eigenen Skillung sehen können. Im Story-Modus fällt das ja leider oftmals erst etwas später auf.
Nichtsdestoweniger ist der Arena Modus eine interessante Option, die absolut nicht schadet und einfach ein schönes "Extra" ist. Es wäre nur schön gewesen, wenn dieser Modus etwas mehr ausgebaut worden wäre.
Vielleicht ist das aber auch gar nicht so schlecht, wie es jetzt ist. Denn sonst würde man vermutlich eher dazu neigen, seine Skillung zu Min-Maxen, was den Story-Verlauf dann vermutlich auch wieder drastisch erleichtert.
Kritik: Schiff
Die Rachefürstin ist der Name des Schiffs, welches die Charaktere der Spielenden das gesamte Spiel über begleitet. Es dient stets als Rückzugsort und als Sammelpunkt für wichtige NPCs. Die Idee ist super und sicherlich auch besonders nützlich für Spielende, welche auch das Handwerk-System vermehrt nutzen.
"Leider" wird das Schiff auch dazu genutzt, die Story voranzutreiben. Das funktioniert nämlich stets linear, von Insel zu Insel. Der erste Gedanke und somit auch ein wenig die Erwartungshaltung war, dass wir im weiteren Spielverlauf die Möglichkeit haben, uns frei in der Welt zu bewegen. Leider wurden wir dahingehend enttäuscht. Obgleich ein Schiff Freiheit symbolisiert, wird es in Divinity: Original Sin II dazu verwendet, die Story linear weiterzuerzählen.
Das ist nicht weiter schwerwiegend, jedoch finde ich es wichtig, das zu erwähnen, weil es die Erwartungshaltung eben ein Stück weit gebrochen hat.
Kritik: Entscheidungen
In der vorherigen Kritik habe ich bereits die lineare Erzählweise angesprochen. Das Grundgefühl bleibt leider auch während allen Hauptstory-Punkten bestehen. Divinity: Original Sin II wirkt nur selten so, als ob die Entscheidungen auch wirklich eine Konsequenz haben. Natürlich gibt es Quests, welche klar auf eine oder mehrere Entscheidungen aufbauen und auch das Ende wird durch mehrere vorherige Entscheidungen geprägt. Mir fehlt leider nur ein wenig die Konsequenz im normalen Spielverlauf. Es fühlt sich so an, als ob jeder Durchlauf im Grunde ähnlich ist und kaum Überraschungen auf einen Warten, wenn der Spielende sich mal anders in einem Dialog entscheidet.
Dazu kommt auch, dass die Entscheidungen oftmals stumpf auf "Kampf" oder "kein Kampf" heruntergebrochen werden können. Etwas mehr Varianz und ggf. auch mehr Skill-Checks wären wünschenswert gewesen.
Im Livestream hatte ich diesbezüglich auch einen Verbesserungsvorschlag, was die Skill-Checks angeht. In Divinity: Original Sin II ist es so geregelt, dass die ein bestimmtes Attribut (Überreden, Stärke, ...) geprüft wird und sofern der Spielende über diesem Wert ist, wurde der Skill-Check geschafft. In Dungeons & Dragons ergeben sich die Skills anhand der Grund-Attribute (z.B.: Überreden ergibt sich aus dem Charisma-Modifikator und dazu ggf. der Proficiency-Bonus, sofern der Charakter eben proficient ist in dem jeweiligen Skill) und ggf. dem Proficiency-Bonus. Diese Abhängigkeit sorgt dafür, dass jeder Charakter zumindest irgendeinen Wert in der jeweiligen Fähigkeit hat.
Eine Mischung aus Beidem hätte dem Spiel vermutlich ganz gutgetan und auch eine zusätzliche Dynamik in die Charakterentwicklung ergeben. So könnte man bspw. ein Grund-Attribut und den Wert der jeweiligen Zivilfähigkeit aufaddieren.
Denn das Problem ist, dass der Spielende manchmal in Situationen gelangt, in denen nicht kontrolliert werden kann, welcher Charakter den Dialog führt. Gibt es im Rahmen eines Dialogs einen Skill-Check tendiert man oft dazu, den Speicherstand einfach neuzuladen, um den Dialog mit einem bestimmten Charakter zu forcieren. Das stört etwas den Spielfluss und ich denke, dass es durch eine Abhängigkeit zu einem Grund-Attribut etwas aufgelockert werden könnte.
Alternativ wäre es schön, wenn ein anderer Charakter auch innerhalb eines Dialogs das Gespräch übernehmen kann. Um solche Unterbrechungen zu verhindern.
Auch das ist eher ein kleiner Kritikpunkt, ohne wirklich viel Gewicht. Ich finde es auf der anderen Seite sehr angenehm, dass kein Würfel geworfen wird, sodass es insgesamt etwas mehr kontrollierbar ist.
Kritik: Save-Scum
Save-Scum beschreibt ein Verhalten des Spielenden, bei dem das Spiel neugeladen wird, sobald ein ungewolltes Ereignis passiert ist. Mit dem Ziel, das gewünschte Ergebnis zu erreichen.
Im vorherigen Punkt habe ich das bereits angedeutet. Save-Scum ist meines Erachtens Bestandteil des Spiels. Die Kämpfe sind besonders als Spiel-Einsteiger durchaus anspruchsvoll und die Rollen der Wiederbelebung sind eher rar gesät. Somit ist es sehr naheliegend, den Kampf lieber nochmal zu wiederholen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen und sich ggf. sogar Rollen der Wiederbelebung zu sparen.
Im Falle von Valerio und mir hat das dazu geführt, dass wir teilweise mehrere Stunden an einem Kampf gesessen haben. Das Kampfsystem macht zwar echt Spaß, aber es kann auch echt super zäh werden.
Idealistisch betrachtet ist das etwas, was ganz klar gegen "Rollenspiel" spricht. In einem Pen & Paper Spiel muss man mit den Entscheidungen leben und die Welt dreht sich weiter, ohne, dass man neu laden kann. In einem Videospiel ist das schwerer umzusetzen, ohne frustrierend zu werden. Denn ich würde keinem für den ersten Spieldurchlauf empfehlen, den Ironman-Modus zu aktivieren. Dennoch würde ich mir generell wünschen, wenn ein Fail-State nicht ausschließlich zu einem Game Over führt.
Kritik: UI/UX, speziell Inventarmanagement
Das ist mein allergrößter Kritikpunkt. Das UI/UX ist an vielen Stellen echt unnötig kompliziert und hier wird die Erwartungshaltung oftmals im negativen Sinne zerstört. Diese Komponente hat Valerio auch kritisiert und vergibt hier Abzüge in der B-Note.
Zur Orientierung ein Screenshot des Inventars mit dem dazugehörigen Kontextmenü (Rechtsklick auf Item):
- Wenn eine Questbelohnung ausgewählt werden kann, ist der Chat nicht nutzbar.
- Beim Öffnen des Inventars wird auch immer automatisch das Charakter-Fenster aufgemacht, welches ebenfalls den Chat initial verdeckt und mindestens 3/4 des Bildschirms bedeckt.
- Die Reihen im Inventar passen sich dynamisch an. Sind mehr als 1 Spielender gerade dabei, das Inventar aufzuräumen, verrutschen die Items ständig um eine Zeile, weil der jeweils andere vielleicht gerade auf Sortieren geklickt hat, o.ä.
- Keine Suchfunktion im Inventar. Es gibt etliche Items. Ein Bestimmtes zu finden kann mitunter sehr schwer sein. Speziell bei bestimmten Büchern oder Notizen. Hier wäre ein Icon schön, welches anzeigt, ob das Buch bereits gelesen wurde oder nicht.
- Manchmal sortieren sich die Charakter-Porträts neu, daran gekoppelt ist auch die Reihenfolge der Charakter-Inventare. Verwirrung ist vorprogrammiert
Hier sieht man nochmal das Belohnungs-Fenster. Es ist hier nicht möglich, den Chat (unter meiner Kamera) zu bedienen.
Das stört den Spielfluss mitunter immens. Wir haben nicht nur einmal mehrere Minuten damit verbracht eine bestimmte Notiz zu finden. Wir haben "zum Glück" das Handwerk nahezu vollständig ignoriert. Für Leute, die das Handwerkssystem nutzen, könnte das noch viel mehr ins Gewicht fallen, weil sich die Menge an Items drastisch erhöht.
Kritik: Bezug zum Vorgänger
Obgleich ich den ersten Teil auch spielte, ist es bei mir schon eine ganze Weile her. Valerio hat den ersten Teil nahezu direkt vor Beginn des zweiten Teils durchgespielt. Daher steckt er da viel mehr im Thema. Ich kann Valerios Eindruck auf jeden Fall nachempfinden, kann dazu aber nicht mehr viel sagen. Daher lasse ich hier Valerio zu Wort kommen:
Mein größter Kritikpunkt: Gefühlt fehlende Einordnung historischer Gegebenheiten und Overflow. Für mein Erleben spielte es sich in dieser Hinsicht wie ein Standalone, welches aber mehr Wissen voraussetzt, um es in Gänze zu verstehen als es ein Standalone in der Regel tun würde. Das fängt für mich direkt am Ausgangs- und Einstiegspunkt des ganzen Geschehens von Divinity: Original Sin I und II an. Mein Ending des ersten Teils war, dass der Leerendrache durch die Wächter aus Astartes Garten erfolgreich verbannt wurde. Ich würde mutmaßen, dass das an sich Canon ist (not factchecked). Die Quelle bleibt bestehen als wage Macht des Universums. Es erschien mir von diesem Status Quo ausgehend im Nachfolger schwer zu entschlüsseln, was die aktuellen Gegebenheiten sind. Wir begegnen direkt zu Beginn neuen Auswüchsen des Faschismus in dieser Welt in Gewändern einer Inquisition. Den Magistern. Wesen wie die Leerenerwachten, der Leere, teils instrumentalisiert, teils chaotische Kraft und vielerlei verschiedener Fraktionen und Splittergruppen. Wir kriegen aber kaum Infos, wenn durch Subtext, wie wir räumlich auf dem Zeitstrang stehen oder wie sich Gefüge vom Vorgänger zum Nachfolger getragen haben. Ich hätte mir gewünscht, dass gerade innerhalb der Einführung oder der mittleren Spielstunden an der Stelle viel mehr direkte Aufklärung stattgefunden hätte. Gefühlt geht man schneller in die Kanzlei, als dass man Jura-Studium aussprechen kann. Aus diesem Punkt heraus fiel es mir ab einer gewissen Spieltiefe schwer weiter in die Welt einzusteigen. Für einen Nachfolger, der abseits vom Vorgänger alleinstehend sein will, war es nicht eigen genug. Für einen Nachfolger, der sich auf seinen Vorgänger beruft, fehlte es etwas an Konsistenz. Ein P.S. setze ich an der Stelle für den Faktor, dass wir im Gegensatz zu den meisten Spieler*innen recht entfernt voneinander zusammengespielt haben. Sprich hauptsächlich Text via IG-Chat. Das hat für das Format ausgesprochen gut funktioniert, hat aber bestimmt auch an anderen Stellen an Aufmerksamkeit gekostet.
Atmosphäre
Im Vergleich zum Vorgänger ist Divinity: Original Sin II deutlich ernster und es gibt deutlich weniger "Witz" in der Story. Ich finde, dass das dem Spiel auch äußerst gutsteht, denn die Thematik ist durchaus sehr düster. Es geht schließlich darum, dass man deportiert wird, weil man ein Quellenmagier ist, und das passt dem "göttlichen Orden" scheinbar nicht so ganz in den Kragen. Das Spiel schafft es durch teilweise explizite Dialoge und hin und wieder sehr blutigen Arealen, eine ernste Stimmung zu erzeugen. Aber es gibt auch Gebiete, die etwas fröhlicher anmuten. Ein Spaziergang durch den Wald lockert das Spiel angenehm auf, sodass es auch immer abwechslungsreich bleibt.
Es gibt eine ganze Handvoll Gebiete, die wirklich besonders wirken, welche ich in der Form auch noch nicht zuvor gesehen habe. Es werden interessante Settings genutzt und manche Gebiete wird man vermutlich nicht so schnell wieder vergessen.
Story und Lore
Ach Rivellon, du bist so schön. Oder?
Ich muss ehrlich sagen, obgleich Valerio und ich jeden einzelnen Text, den wir finden konnten, gelesen haben. Ich habe nicht viel davon behalten und so wirklich hat mich die Welt leider nicht abgeholt. Für mich persönlich liegt es daran, dass erst gegen Ende einige wichtige und interessante Ereignisse erklärt wurden, wodurch die Welt dann wiederum interessanter war. Leider etwas zu spät für meinen Geschmack. Hier hätte ich mir gewünscht, dass schon viel früher darüber aufgeklärt wird. Natürlich hätte man dann auch auf einen Plot Twist verzichtet, welcher aber auch eher weniger gut gelungen ist. Für mich war es ein "warum erst jetzt?".
Rivellon ist nichtsdestotrotz schön ausgearbeitet. Es gibt viel zu entdecken und zu lesen. Zu Divinity: Original Sin II gibt es ja auch Comics/Bücher, welche die Vorgeschichte zu den anderen Charakteren (der rote Prinz, Bestie, etc.) erzählt. Auch die alten Divinity Spiele haben bereits einen schönen Grundstein für die Welt gelegt, aber man darf nicht vergessen, dass Divinity: Original Sin 1 und 2 beide zeitlich vor den Ereignissen von Divine Divinity spielen.
Grafik und Sound
Grafisch ist das Spiel für die Zeit zeitgemäß und auch beim ran zoomen an einen Charakter offenbaren sich viele Details und die Modelle und Texturen sind von hoher Auflösung und ansprechend gestaltet.
Auch die visuellen Effekte bei den verschiedenen Element-Mischungen können sich absolut sehen lassen.
Der Sound geht meiner Meinung nach, manchmal leider etwas unter. Der Soundtrack von Borislav Slavov ist fantastisch, kommt nur leider nicht immer zur Geltung. Das letzte Lied bleibt mir jedoch im Kopf hängen. Obgleich ich empfehle, das Lied erst zu hören, wenn man das Spiel bereits durchgespielt hat. Sonst nimmt man sich vermutlich etwas die Magie.
Fazit und Wertung
Insgesamt ist Divinity: Original Sin II natürlich ein fantastisches cRPG und hat Maßstäbe innerhalb des Genres gesetzt. Larian Studios ist es gelungen, ein umfangreiches Rollenspiel auf die Beine zu stellen, welches in wohl jedem Aspekt besser ist als der Vorgänger. Divinity: Original Sin II glänzt mit einem durchdachten Gameplay und auch die genannten Mängel schmälern nur selten das Spielerlebnis. Zudem ist das Erlebnis auch stark abhängig davon, was für Charaktere der Spielende spielt. Je nach Skillung sind bestimmte Kämpfe natürlich leichter oder schwerer als andere. Dadurch ergibt sich ein individuelles Spielgefühl. Sowas ist leider eher selten im Rollenspiel-Genre, weil die meisten Spiele das Hauptaugenmerk auf Zugänglichkeit legen und im Zuge dessen die Schwierigkeit des Spiels auch oftmals runtergesetzt wird, um eben alle Spielweisen anzusprechen. Divinity: Original Sin II hat es geschafft, zugänglich zu bleiben, ohne dabei an Anspruch zu verlieren. Dazu kommt auch, dass das Spiel mit einer riesigen Palette an Skillungen durchspielbar ist. Dabei war es auch sehr abwechslungsreich. Die einzelnen Kapitel waren schön gestaltet und es stellte sich selten Monotonie ein. Die Gegner-Varianz war super, es gab ständig etwas zu entdecken und die Welt fühlte sich ziemlich "organisch" an.
Valerios Fazit sieht an dieser Stelle folgendermaßen aus: Der gut funktionierende CRPG-COOP Modus und das optimierte Kampfsystem haben dafür gesorgt, dass erzählerischer Overflow, kryptische Rätsel und ähnliche Durststrecken gut kompensiert werden konnten. Generell kann man unterm Strich sagen, dass es Divinity: Original Sin II schafft in dem Punkt gut die Waage zu halten. Lore-technisch fühlte ich mich leider dennoch eher überrollt oder stehengelassen als abgeholt. Insgesamt war das Projekt war in vielerlei Hinsicht etwas Neues für mich und ich habe sehr viel lachen und schmunzeln müssen. Ich kann mir vorstellen, dass eine etwas geringere geschätzte Gametime dem Spiel mehr zugetragen hätte als die Tendenz zu 100h+ aufwärts.
Ich selbst vergebe ungern eine Wertung auf einer Skala. Ich denke, mit den Besonderheiten und Kritikpunkten kann jeder selbst einschätzen, was für einen selbst relevant ist und anhand dessen die Kaufentscheidung abwägen.
Valerio vergibt auf der anderen Seite folgende Wertung: Eine 8+/10 für Genre- und Franchisefreunde. Bei einer Wertung auf breiterem Felde würde ich etwas vom Gas treten.
Wir sind uns auf jeden Fall in einem Punkt einig: Unterm Strich ein dickes GG!